Sonntag, 13. April 2014

[AVS] Interview mit Antonia Michaelis


5 Fragen an Antonia Michaelis



   1. Was bewegt Sie dazu, über solch ernste Themen wie häusliche Gewalt oder Vergewaltigung zu schreiben?

Na ja, man kann eigentlich nicht die ganze Zeit über die hübsche Natur und die netten Menschen schreiben, oder? Letzteres gibt es nämlich gar nicht.
Ich lebe in einer Gegend mit ziemlich vielen Problemen – Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit Jugendlicher, Rechtsextremismus, häusliche Gewalt … ich arbeite zum Beispiel an der Förderschule Wolgast an einem Musicalprojekt mit, (guckt mal auf meiner Webseite bei der gelben Sonne links) viele Erfahrungen habe ich aus dieser Arbeit mit Schülern aus dem „Milieu“ (furchtbares Wort). Es ist einfach leider realistischer, über Problemthemen zu schreiben als über ideale Welten. Nicht jeder will realistischen Kram lesen, Bücher müssen ja auch zum Ausspannen sein – sehe ich ein. 



2.  Sind die Charaktere und Handlungen alle frei erfunden oder von realen Personen und Geschehnissen inspiriert?

Für mich sind alle meine Charaktere real, aber das ist natürlich leeres Gerede. Die meisten sind aus mehreren realen Charakteren und einer Portion ICH zusammengesetzt. Die ICH-Portion stört wahrscheinlich immer, weil ich einen wirklich chaotischen Charakter habe, da heißt es dann immer: "Der Protagonist handelt jetzt aber nicht so wie die meisten anderen handeln würden." - Ja, das stimmt. 


3.  Haben Sie Ratschläge für Betroffene?

Klar, ich kann alle Probleme der Welt mit einem Fingerschnipsen lesen. Schreibt mir Eure Fragen, Ihr kriegt die Patentlösung!
Nein. Ich maße mir so etwas nicht an. Ich zeige in meine Büchern oft, wie es SCHIEF gehen kann (was häufig falsch verstanden wird). Ich warne. Ein bisschen.
Wichtig ist bei Gewalt zu allererst natürlich, mit anderen darüber zu reden. Aber welches Gewaltopfer wagt das schon? Es ist an uns, den anderen, rechtzeitig hinzusehen, zu fragen – oder auch gar nichts zu fragen und zu helfen.


 4. Welche Szenen fallen Ihnen besonders schwer zu schreiben?

Welche Gewaltszenen? Hm. Ich finde es ehrlich gesagt sehr viel schwerer, über Gewalt zu lesen als sie zu beschreiben. Wenn ich schreibe, bin ich Herr der Situation, ich kann notfalls aussteigen und Abstand schaffen. Beim Lesen ist das nicht so. Murakamis Folterszenen sind aus meinen Büchern herausgerissen (peinlich, ja), damit ich sie nicht aus Versehen irgendwann doch lese, denn dann träume ich.
Bei den Worten der Weißen Königin hab ich schon selbst zwischendurch ganz schön geschluckt, aber dann eher später beim Korrekturlesen. Ähnlich bei Szenen in „Paradies für Alle“ …
Psychische Gewalt ist hier immer schlimmer als physische. Ich habe ja Medizin studiert, und Szenen wie Jari aus der Nachtigall, der die Leiche des Försters zu entsorgen versucht, sind für jemanden, der Leichen von innen kennt, fast schon eher lustig … da gibt es eine Szene, wo jede Farbe der Innereien mit etwas Essbarem verglichen wird … also, tja, manchmal mache ich auch Unsinn, weil man mal lachen muss bei all den Problemen auf der Welt. 




5.   Haben Sie eine Lebensphilosophie?

Ja. Niemals meine Lebensphilosophie in Interviews preiszugeben :-)

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