Dienstag, 12. März 2013

[Rezension] Der Mann, der den Regen träumt von Ali Shaw

Hallo ihr Lieben,

entschuldigt nochmals, dass diese Rezi einen Monat zu spät kommt, ein paar Hausarbeiten haben mich aufgehalten.

  • Gebundene Ausgabe: 332 Seiten
  • Verlag: Script5 - junge Belletristik
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3839001462
  • Originaltitel: The Man Who Rained
Inhalt:

Nach dem Tod ihres Vaters zieht Elsa von New York nach Thunderstown. Dort, in diesem hübschen Städtchen, das umringt ist von vier gigantischen, mysteriösen Bergen, möchte sie sich sammeln und wieder zu sich selbst zu finden. Bei ihrem ersten Besuch ins Gebirge begegnet sie Finn, der sich vor ihren Augen auflöst und zu Wolkennebel wird.

Denn Finn birgt ein Geheimnis. Dieses versetzt die abergläubischen Einwohner Thundertowns in Angst und Schrecken und ist der Grund für sein einsames Leben in den Bergen.

Trotzdem verliebt sich Elsa und will versuchen, ihre Liebe gegen all die Widerstände zu behaupten

Der erste Satz:

            Der Regen begann mit einem einzelnen sanften Tippen an ihr Schlafzimmerfenster, dann noch eins und noch eins, und schwoll schließlich zu einem stetigen Prasseln gegen die Scheibe an.

Das sagt Lucy:

Mit seinem Debüt, Das Mädchen mit den gläsernen Füßen, hat Ali Shaw mich verzaubert, mich zu Tränen gerührt, mich schmunzeln und nachgrübeln lassen. Nun habe ich seinen zweiten Roman beendet und am Ende kann ich sagen: Ich bin hin und weg und wieder komplett verzaubert - von den Charakteren und dem Schreibstil ebenso wie von der Idee, das Wetter zu vermenschlichen. Außerdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, wie wunderwunderschön ich die Covergestaltung von script5 (wieder einmal) finde. Als ich es in den Händen hielt, musste ich es erst eine Weile bewundern, ein paar Mal über den Einband streichen, bis ich anfangen konnte zu lesen.

(Anmerkung: Obwohl das Cover zu Das Mädchen mit den gläsernen Füßen und das zu Der Mann, der den Regen träumt sich ähneln, sind es zwei Einzelbände, die unabhängig voneinander gelesen werden können).

Dann begann ich zu lesen, vorsichtig, als könnte die Geschichte sich zwischen meinen Fingern auflösen wie ihr Protagonist Finn. Und Seite für Seite nahm sie mich ein Stück mehr gefangen. Ali Shaws Geschichten haben stets etwas so Magisches und Melancholisches an sich, dass ich irgendwann während des Lesens einfach total abdrifte und mich danach ganz bewusst auf meine Realität konzentrieren muss, um die Story und die Charaktere loslassen zu können.

Das liegt natürlich, machen wir uns nichts vor, an dem unverwechselbaren Schreibstil des Autors: Da ist so viel Poesie und Gefühl mit drin. Ich liebe ungelogen jeden seiner Sätze; sowohl das, was er sichtbar wie dicke, weiße Wolken schreibt, als auch das, was er zwischen den Zeilen schweben lässt wie einen hauchzarten, summenden Windstoß.

Was man an Ali Shaws Schreibe noch mögen muss, ist diese Nähe zur Natur, diese Liebe zum Detail und die Tatsache, dass er einen mit seiner beschreibenden Sprache die fantastischsten Bilder sehen lassen kann.

                Als sie die erste Anhöhe erreichte, blieb sie stehen, um die Aussicht auf das Städtchen zu genießen. Die Sonne spiegelte sich im Metall der Wetterfahnen und ließ sie aufflammen wie einen Tisch voller Gebetskerzen. Die Fenster der Sankt-Erasmus-Kirche wirkten unverändert dunkel. Der Himmel hatte sich verfärbt, nachdem die staubartige Wolke, die zuvor nur über dem Merrow Wold geschwebt hatte, sich nun nordwärts ganz über das Blau geschmiert hatte. (S.45)

              Am Himmel hatten sich gewaltige Wolken ausgebreitet wie Tintenflecke. Das einzige Licht war ein kränklich gelber Schleier an der Stelle, wo die Sonne hinter dem Berg verschwunden war. (...) Dunkelheit tränkte die Landschaft. Die sichtbare Welt schrumpfte zu etwas Kleinem, Schwarzen zusammen; doch jenseits ihrer Grenzen ertönte die unmelodische Symphonie des Windes. Elsa überlegt, wann sie das letzte Mal so dermaßen von der Dunkelheit verschlungen worden war. (S.82)
 
               Während des Aufstiegs hörte der Regen auf und ließ einen Himmel voller Wolken in so vielen Formen und Farben zurück, dass er an eine verschmierte Malerpalette erinnerte. (S.159)

Geschrieben ist das Ganze in der dritten Person, aus zwei verschiedenen Perspektiven - aber nicht, wie man erwartet aus Sicht der beiden Protagonisten, Elsa und Finn, nein, Elsas Innensicht wechselt mit der des etwas verschrobenen Bergjägers Daniel Fossiter.

Die Geschichte von Elsa und Finn (die gemeinsame und die von jedem einzeln) steht im Vordergrund, aber die Erzählungen und Rückblenden von Daniel sind so herzzerreißend, dass man nicht anders kann, als auch über sie nachzugrübeln. Und am Schluss gehören beide Geschichten noch viel enger zusammen, als gedacht. 

Daniel ist mir sehr ans Herz gewachsen, ebenso seine Frau und Finns Mutter Betty. Und auch andere Nebencharaktere wie Elsas gewitterbegeisterter Vater, der alte Kenneth und die gesprächige Nonne mit den vielen Wolkenfotos haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen; ebenso übrigens die sonnengelben Kanarienvögel und die schimmernden Regenkäfer (aber ich bin mir nicht sicher, ob ich diese wundersamen Tierchen als Nebencharaktere aufzählen darf!)

Beide Protagonisten sind sympathische Persönlichkeiten und passen perfekt zusammen. Finn ist still und sensibel. Seit Jahren lebt er zurückgezogen und einsam, voller Schuldgefühle und ohne Ziel in den Bergen. Elsa ist aus dem hektischen New York nach Thunderstown gekommen, um sich Zeit für ihr Innerstes mit all seinen Ecken und Kanten und Wünschen zu nehmen. Beide sind sie mit ihrer momentanen Gesamtsituation unzufrieden, fühlen sich aber voneinander angezogen -  unabhängig voneinander suchen sie Akzeptanz und vor allem sich selbst, zusammen finden sie Liebe und ein Tor voller ungeahnter Möglichkeiten. Das einzige, was ihnen für eine gemeinsame Zukunft noch im Weg steht, sind der Aberglaube und die Anfeindungen von außen. 

Ich kann Der Mann, der den Regen träumt nur jedem empfehlen, der märchenhafte Belletristik mit sympathischen, manchmal aber leicht wundersamen Charakteren und einem bildhaften, poetischen Schreibstil mag.

Fazit:

Für ein bisschen Märchen, ein bisschen Magie und ganz viel Inspiration; für die fantastische Idee, das Wetter zum Leben erwachen zu lassen und für die Tatsache, dass der Schreibstil es so real erscheinen ließ; für die beschriebenen Naturschauspiele; für zwei tolle Protagonisten und viele interessante, skurrile und zynische und liebenswerte Nebencharaktere; für Ali Shaw, der mit seinen sympathischen Blog-Einträgen und seinem zauberhaften Schreibstil zu einem meiner Lieblingsautoren zählt; für all das gibt es von mir meteorologisch-magische 6 Wombats! Und eine Leseempfehlung!


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2 Kommentare:

Charlousie hat gesagt…

*_* Amen!
Du hast so recht, so recht, so recht!
Und das auch noch wunderschön ausgedrückt. Ich trauere den Wetterkäfern auch noch hinterher...
Die Zitate hast du schön ausgesucht. (Obwohl, ich glaube, das hätte ich bei JEDEM gesagt, weil ich einfach - ungelogen - JEDEN Satz von ihm LIEBE ;-) )

Ach ja... Das sind Bücher, die werde ich auch NOCH EINMAL lesen. Märchenhaft, so dass man die Realität vergisst, da hast du einfach recht.

Viele Grüße und Danke für diese gelungene Rezension,
Charlousie

Unknown hat gesagt…

@ Charlousie: Vielen lieben Dank! Haha, du hättest gerade sehen müssen, wie ich vor mich hingegrinst habe, als ich deinen Kommi gesehen hab - es freut mich, dass dir die Rezi gefallen hat! Ich hab mir ja extra ganz viel Mühe gegeben damit! :-)

Und auf jeden Fall werde ich die Bücher von Ali Shaw auch wieder und wieder lesen!

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