Hallo, ihr Lieben,
Blogg dein Buch hat endlich die Gewinner der Blogparade bekannt gegeben. Wir gratulieren ganz herzlich allen Gewinnern, ganz besonders Charlene von Leselust & Leseliebe. Hannes & Micks konnten leider nicht überzeugen, aber das hindert mich nicht daran, ihre Geschichte mit euch zu teilen.Es gibt eigentlich so viel mehr über die Beiden zu sagen, aber ich habe diese Geschichte unter enormen Zeitdruck geschrieben, weshalb nicht allzu viel Platz für Liebe zum Detail und mehr Flashbacks war ... ich hoffe, ihr habt trotzdem Spaß beim Lesen:
Hannes & Micks
oder die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft
Es ist sein erster Schultag im Gymnasium und, wenn
er ehrlich ist, ist er schon etwas aufgeregt. Weniger wegen dem Lehrstoff,
sondern eher, weil er noch niemanden kennt. Als er das Klassenzimmer im Erdgeschoss
mit der Nummer 012 betritt, erwartet er, dass sich bereits lauter kleine
Grüppchen gebildet haben und man ihn komplett ignorieren würde. Oder - noch
schlimmer - auslachen.
In Kindergarten und Grundschule hatte Hannes nicht allzu viele Freunde gehabt - er hatte nie so richtig verstanden, warum, aber scheinbar kam es bei Drei- bis Zehnjährigen nicht sonderlich gut an, sich für Schach und Mathematik zu begeistern. Und die wenigen, die zu seinen Geburtstagen erschienen sind und ihre Freizeit lieber mit ihm als auf dem Fußballplatz verbrachten, gehen nun allesamt auf andere Schulen.
Da rempelt ihn jemand an, hetzt an ihm vorbei und lässt sich feixend auf dem leeren Stuhl neben dem Lockenkopf nieder. Hannes merkt, wie dieser augenblicklich ein kleines bisschen zusammenzuckt.
„Eigentlich wollte ich hier sitzen“, sagt er.
„Tja, zu spät, Lahmarsch! Jetzt sitz ich hier! Außerdem sind Joscha und ich alte Kindergartenfreunde!“ Während er das sagt, legt er Joscha mit den Wuschelhaaren den Arm um die Schultern und zieht ihn zu sich in einen nicht ganz so freundschaftlich-aussehenden Schwitzkasten. Dann schnappt er sich Joschas Federmäppchen und schüttet dessen Inhalt über den Tisch.
„Ich denke, ich sitze hier!“, wiederholt Hannes ruhig. Er schaut von einem zum andern und sammelt dabei die Stifte wieder ein. Von wegen Kindergartenfreunde.
Der andere schaut ihn nun wutentbrannt an. Seine Hände ballen sich zu Fäusten und er fragt laut: „Willst du Stress?“
Hannes Oppermann und Michael
Röhlfing können sich auf Teufel komm raus nicht ausstehen, konnten sie noch
nie. Trotzdem gibt es unter ihren ehemaligen Klassenkameraden
Schulflur-Geschichten über Hannes nicht ohne Micks. Und die besten Stories über
Micks nicht ohne Hannes. Und trotzdem werden sie ständig gefragt, wie es dem
anderen denn so geht. Fast so, als wären sie tatsächlich Freunde gewesen.
„Ich
bin Klassensprecher!“
Ein vierzehnjähriger Micks
antwortet mit seinem erhobenen Mittelfinger, weil er weiß, dass Hannes diese
‚nette Geste‘ in den Wahnsinn treibt. Innerlich natürlich nur, denn ein Hannes
Oppermann rastet niemals in der Öffentlichkeit aus – schon gar nicht, wenn er seinen verfickten Klassensprecher-Dienst ausübt. Noch bis heute kapiert Micks
nicht, wie er an so viele Stimmen gekommen ist. Hielten ihn nicht eigentlich alle
für einen Arschkriecher und Streber? Er zumindest tat das.
„Hör
zu, die Lindberg hat mir die Verantwortung übertragen! Wir sollen die Aufgaben
lösen, die an der Tafel stehen, bis sie wieder kommt!“
„Who
cares?!“ Micks zieht extra lang an seiner Zigarette, um Hannes anschließend
extra viel Rauch ins Gesicht pusten zu können. Er hustet und sieht etwas hilflos zu Joscha, der resigniert mit den Schultern zuckt. Micks denkt, dass Hannes es ihm gleich nachmachen wird; dass er sich durch die blonden Locken fahren und seufzen wird, und dass er sich dann auf seinen Platz verpissen wird, wo er die dämlichen Aufgaben der Lindberg lösen wird. Doch er irrt sich. Hannes bleibt, wo er ist, verschränkt die Arme und sagt: „Entweder
du machst das oder ich geh zum Direktor! Wird dann ein Verweis, wenn er dich
rauchen sieht!“
Micks
sieht aus, als wolle er Hannes jeden Augenblick vor die Füße spucken, verdreht
dann allerdings nur die Augen und hockt sich fluchend auf seinen Platz.
--
Sie
sitzen wie üblich in der letzten Reihe. Lars und Micks haben eine Kippe im
Mund, Laura hat ihren Rücken gegen das
Fenster gelehnt und die Beine auf die Sitze ausgestreckt, in der Kuhle zwischen
ihren Oberschenkeln liegt ein iPhone, aus dem irgendein Gitarrensolo schallt.
Schon allein das bringt Hannes an diesem frühen Morgen auf die Palme. Eigene Band hin oder her, warum
konnten die nicht Headsets verwenden, wie jeder andere auch? Warum konnten die
sich nicht normal hinsetzen, wie jeder andere auch? Warum mussten sie immer die
obercoolen Rockstars raushängen lassen? Und warum, verflixt, kapierten die auch
nach sieben Jahren noch nicht, dass man im Schulbus nicht rauchte?
Micks
gestikuliert wild mit den Fingern und redet irgendetwas von „fett“ und „Hardrock“
und „so macht man das“. Laura verdreht die Augen und nimmt ihm die Zigarette
weg. Sie zieht einmal, zweimal, dreimal kräftig daran, bis sie aufgebraucht ist
und lacht. „Angeber“, sagt sie und verpasst ihm einen freundschaftlichen Klaps
gegen die Schulter.
Angeber, denkt auch Hannes, allerdings hätte er
Micks am liebsten einen rechten Haken verpasst.
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Er trinkt seinen Kaffee wie jeden Morgen mit so
viel Milchschaum, dass mal wieder die Hälfte davon über seinen Lippen hängen
bleibt und er aussieht wie ein albernes Kind zu Karneval. Gleich würde
Frederike sich über den Tisch zu ihm lehnen und ihm den süßen, weißen Bart
abknutschen. Wie jeden Morgen. Und wie jeden Morgen könnte Micks kotzen, wenn
er daran denkt. Was für eine bescheuerte Aktion!
Liebling,
du hast da Milchschaum! Schon wieder!
Ach
wirklich?
Das
sieht ja so süß aus! Darf ich ihn dir wegküssen? So wie ich es die letzten drei
Wochen jeden Tag getan habe!
Klar!
Denn nur so beginnt der Tag für mich richtig!
Ätzend.
Micks erinnert sich noch an die Zeit, als Hannes
sich seinen beschissenen Clownsmund jeden Morgen selbst abgewischt hat. Das hat
ihn auch genervt, aber nicht so sehr wie dieses Pärchentheater.
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An
der Abifeier sind Micks und Konsorten natürlich total betrunken, so wie es
zurzeit jedes Wochenende der Fall ist. Also befürchtet Hannes zuerst, dass
Micks ihm vor die Füße kotzen wird, als er plötzlich vor ihm stehen bleibt. Aber
dann fällt er ihm um den Hals, dieses grässliche Schlagerlied lallend, das die
Band den ganzen Abend schon rauf und runter spielt.
Eine
Weile stehen sie so da, Hannes mit erhobenen Armen und ziemlich verdutzter Miene,
Micks so blau, dass er sich am nächsten Morgen wohl an nichts erinnern würde,
gerade aber genau weiß, wo er sich befindet, weil er nämlich Hannes’ Namen sagt
und dabei gluckst.
Und
dann ist es vorbei, Lars ruft nach Micks und Micks rennt sofort auf ihn zu, nimmt
seinem Kumpel die Asbachflasche aus der Hand und trinkt einen kräftigen
Schluck. Und dann kotzt er ihm auf die schwarzen Lederschuhe.
Acht Jahre lang besuchten Hannes
Oppermann und Michael Röhlfing dieselbe Klasse, verbrachten notgedrungen viele
Stunden zusammen. Mussten bei Referaten und Gruppenarbeiten zusammen arbeiten, schwiegen
und schrien sich an, amüsierten sich über unvorbereitete Abfragen und Gestotter
des anderen, halfen den Mädels dabei, absurde, peinliche Gerüchte in die Welt
zu setzen und den jeweiligen Ruf zu zerstören, hielten Wettkämpfe und Wetten ab
und zusammen, wenn es hart auf hart kam, prügelten sich.
Und merkten dabei kein
einziges Mal, dass sie das alles, dass sie sich brauchten; dass sie sich
während dem Studium, während der Couchsurfing-Weltreise ebenso sehr vermissen würden wie das
heimliche Rauchen im Probenraum und Mamas warmes, selbstgekochtes Mittagessen.
Und dass sie sich deshalb gegenseitig jahrelang auf Facebook beobachten,
Kommentare hinterlassen und hoffen würden, dass der andere sich einmal meldet. Fast so, als wären sie tatsächlich Freunde
gewesen. Verrückt, oder?
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